Ein Cannabis-Patient hilft sich selbst

Exitable
21 Mar 2014

Mittlerweile wissen die meisten unserer Leser, dass in Deutschland seit 2009 die Möglichkeit besteht, Cannabis medizinisch zu nutzen. Vorerst muss aber ein Antrag beim BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) gestellt werden.


Mittlerweile wissen die meisten unserer Leser, dass in Deutschland seit 2009 die Möglichkeit besteht, Cannabis medizinisch zu nutzen. Vorerst muss aber ein Antrag beim BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) gestellt werden.

Mittlerweile wissen die meisten unserer Leser, dass in Deutschland seit 2009 die Möglichkeit besteht, Cannabis medizinisch zu nutzen. Vorerst muss aber ein Antrag beim BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) gestellt werden.

Leider wird ein solcher Antrag oftmals abgelehnt mit der Begründung, dass der Patient nicht austherapiert sei. Der Patient muss also vorher erfolglos alle schulmedizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft haben bzw. müssen die Nebenwirkungen derart unerträglich sein, dass man diese Erlaubnis bekommt. Dass dies nicht jeder möchte, ist wohl mehr als verständlich. Warum soll ich auch meinem Körper vergiften, nur weil eine Behörde meint, ich müsste? Da könnte man glatt den Eindruck bekommen, der Staat unterstütze mit aller Macht die Pharmaindustrie. So erging es auch Fabian (der Name wurde aus Sicherheitsgründen geändert), 39 Jahre, aus Aachen. Fabian leidet seit acht Jahren an starken rheumatischen Schmerzen. 

Die Royal-Highness in der siebten Blütewoche
Hallo, Fabian, du schriebst uns, dass du an starken rheumatischen Schmerzen leidest. Was sind das für Schmerzen, und welche Einschränken hast du dadurch?

Mit 31 Jahren begann das Dilemma. Anfangs spürte ich, dass die kleinen Finger und Zehen immer kalt waren, mit der Zeit begannen sie zu schmerzen. Es verschlimmerte sich rapide, die Knöchel wurden immer dicker und die Gelenke steifer. Der Schmerz wurde mit der Zeit unerträglich. Morgens konnte ich die Hände in den ersten Stunden überhaupt nicht bewegen. Ganz zu schweigen von der kalten oder feuchten Jahreszeit, dann schmerzten sogar die Knie und die Fußgelenke. Bewegen kann ich mich dann nur wie ein 70-jähriger. Ich konnte mich eine Zeit nicht einmal alleine richtig anziehen, Flaschen öffnen oder mir die Schuhe binden. Eigentlich alles, wo die Feinfühligkeit der Finger gefragt ist, konnte ich nicht mehr machen. 

Natürlich bekam ich Schmerzmittel und entzündungshemmende Mittel, wie z. B. Diclofenac und Kortison, aber das verursachte mit der Zeit starke Magenkrämpfe bis hin zu Magenblutungen. Aber auch Depressionen und stark wiederkehrende Selbstmordgedanken. Ich fiel in ein tiefes Loch, weil ich einfach keinen Sinn mehr im Leben sah. Bis zu dem Tag, wo ich Cannabis als Medikament kennenlernte.

Eine extrem harzige Royal-Ice in der siebten Blütewoche
Wie bist du auf Cannabis gekommen?

Ein Freund brachte mir, nachdem er sah, dass ich mich aufgegeben hatte, hausgemachte Hanfsalbe und 20 Kapseln, welche mit 0,4 Gramm Blüten und etwas Öl befüllt waren. Mit der Salbe sollte ich mir abends dick die Hände einschmieren. Zusätzlich sollte ich zwei Kapseln eine Stunde vor dem Schlafengehen einnehmen. Das tat ich dann auch.

Und, konntest du eine Verbesserung spüren?

Oh ja, eigentlich schon am nächsten Morgen, denn ich war total erholt. Ich konnte seit langer Zeit mal wieder eine Nacht durchschlafen und meine Psyche sich stärken und erholen. An meinen Händen konnte ich nach acht Tagen eine deutliche Verbesserung spüren. 

Hast du deinem Arzt von dieser positiven Erfahrung mit Cannabis erzählt?

Na klar, ich habe meiner Ärztin sofort alles erzählt. Anfangs wollte sie mir nicht glauben, dass mir Cannabis so gut hilft. Nachdem ich ihr sagte, dass ich Cortison und Diclofenac abgesetzt habe, machte sie einen Bluttest, um sich zu vergewissern, danach war sie wie umgewandelt. Sie fragte, wie und seit wann ich denn schon Cannabis verwende. Nach ausgiebiger Erklärung war sie so angetan von der ganzen Sache, dass wir eine Genehmigung für medizinisches Cannabis bei der BfArM beantragten. 

Royal-Highness-Pflanzen 4. Blütewoche
Wir hören immer, dass es schwer ist, einen Arzt zu finden. Da hattest du aber Glück.

Das habe ich auch anfangs gedacht, und es stimmt, mit der Ärztin hatte ich Glück, aber nicht mit dem Antrag. Nach drei Wochen bekam ich ein Schreiben von der BfArM, ich solle doch erst noch weitere schulmedizinische Möglichkeiten ausschöpfen. Das bedeutete, dass ich meinen Körper zusätzlich mit starken Schmerzmitteln, Kortison, Antidepressiva usw., vergiften solle, obwohl ich weiß, dass es etwas aus der Natur gibt, was mir hilft. Bin ich denn blöd? Natürlich habe ich das nicht gemacht. Anfangs konnte ich das nicht glauben, was man von mir verlangte, und ich fiel wieder in ein tiefes Loch. Später erfuhr ich über das Internet, dass es einigen so erging wie mir. Ich beschloss zu leben und kaufte mir für 600 Euro erst mal hundert Gramm gutes Gras, damit ich die anderen Medikamente wieder absetzen konnte. Nach zwei Wochen fühlte ich mich geistig und körperlich fit und in der Lage, etwas zu verändern. Mir ging es so gut wie lange nicht, und das wollte ich nicht mehr missen, dafür aber benötige ich regelmäßig Cannabis. Der Schwarzmarkt war mir zu unsicher, mal war es gestreckt, ein anderesmal von minderer Qualität – also kaufte ich mir erst mal ein Buch über Indoor-Anbau und machte mich so mit der Materie vertraut.

Du hast entschieden, dir dein Medikament selber anzubauen?

Royal-Highness Bud (4. Woche).
Richtig, aber nicht nur für mich. Ich beschloss, so vielen zu helfen wie möglich. Außer in Büchern, informierte ich mich im Internet noch über die verschiedenen Gras-Sorten. Welches z. B. gut zum Einschlafen oder gegen Depressionen ist – oder über die Blütezeit und die Höhe verschiedener Sorten. Wie hoch der THC- und CBD-Anteil der jeweiligen Pflanze ist usw. Kurz darauf kaufte ich mir ein Grow-Zelt mit einer 600-W-Natriumdampflampe und einem dimmbaren Vorschaltgerät, einen „Adjust-A-Wing“-Reflektor, Kohlefilter, Töpfe, Ventilator, Dünger und alles, was noch dazu gehört für tausend Euro. Für meinen ersten Grow-Versuch entschied ich mich für die feminisierten Skunk#1-Samen von der „White Label Seeds Company“. Weil sie überall als leicht zu growende Pflanze angepriesen wurde, was auch stimmt. Ich hatte keine Probleme mit dieser Sorte, sie verträgt viel Dünger und verzeiht den einen oder anderen Anfängerfehler schnell. Nur die Wirkung war leider nicht so, wie ich sie mir vorgestellt, oder besser: erhofft habe. Nach einigen weiteren Versuchen habe ich mich für die Ice und seit Neuestem auch für die „Royal Highness“ von Royal Queen Seeds entschieden. Die Ice ist eine Afghan-Northern-Lights-Skunk-Mischung, die sehr harzig und in neun Wochen erntereif ist. Die Blüten sind sehr potent mit hohem THC-Anteil, ich schätze mal so 17 Prozent. Mit ihr mache ich zurzeit meine Kapseln. Die Royal-Highness hingegen hat einen sehr ausgeglichenen THC-/CBD-Anteil, was entzündungshemmend, schmerzlindernd, Angst und Panik mindernd wirkt. Gleichzeitig macht sie nicht so high, man kann sie gut tagsüber verwenden, ohne durcheinander oder sehr high zu werden. Ich aber mache hauptsächlich meine Salbe mit der Royal-Highness. Sie ist in neun Wochen erntereif und von mittlerer Größe. Eine echt gute Medizinalpflanze. 

Wie ist es denn mit dem Rauchen von Cannabis, hast du das mal probiert?

Grow-Box mit 19 Pflanzen.
Ja, das habe ich, einmal und nie wieder. Ich habe mich halbtot gehustet, Qualm habe ich noch nie gemocht. Sogar ein Vaporizer ist noch zu stark für mich. Nein, da bleib ich lieber bei meinen Kapseln und der Salbe. Zu Weihnachten backe ich schon mal für mich und meine Leidensgenossen Happy-Cookies. 

Genau das richtige für die kalte Jahreszeit. Du sagtest vorhin, dass du auch weiteren Personen, die Cannabis benötigen, helfen möchtest. Wie vielen hilfst du im Moment, und hast du keine Angst erwischt zu werden?

Nein. Ich growe jetzt für zwei weitere Patienten, die das ganze Jahr über monatlich jeder 30 bis 35 Gramm von mir bekommen. Im Jahr schaffe ich mindestens vier Ernten von jeweils 400 bis 450 Gramm Trockengewicht. Für mich brauche ich ja schon 800 Gramm jährlich.

Den anderen Patienten mache ich keine Salbe, sie rauchen es lieber, weil es angeblich sparsamer ist. Angst vor dem Gesetz? Nein, ich habe nur Angst vor meiner Krankheit. Warum auch? Ich verkaufe ja keine Drogen an Kinder, sondern ich gebe es an bedürftige für einen Herstellungspreis von fünf Euro das Gramm ab. Irgendwie muss ich das ja auch finanzieren, aber das ist in meinen Augen nicht Dealen, sondern Helfen.

Wir drücken dir natürlich für die Zukunft die Daumen. Aber jetzt nochmal zum Anbau: Growst du mit Erde oder hydroponisch? 

Ice-Bud
Nur auf Erde, ich habe oftmals gelesen, dass man medizinisches Cannabis besser auf Erde anbauen soll. Der Geschmack ist viel intensiver als bei hydroponisch angebautem Gras, und nach meinen eigenen Erfahrungen stimmt das auch. Der Ertrag ist zwar etwas geringer als bei hydroponisch Angebautem, dafür aber hat es eine bessere Qualität. Kann aber auch alles nur Spinnerei und Einbildung sein.

Wie lange growst du jetzt schon? 

Seit drei Jahren, im erstem Jahr habe ich aber noch wenige Male auf dem Schwarzmarkt kaufen müssen, weil ich nur zwei Durchgänge im Jahr gemacht hatte. Zusammen waren das gerade mal 480 Gramm. Seit zwei Jahren aber bin ich jetzt stolzer Eigenproduzent, was will ich mehr. Mein Rheuma macht sich nur noch im Herbst und Winter bemerkbar. Meine Depris gehören der Vergangenheit an, und ich bin ehrlich, ohne zu übertreiben, wieder ein glücklicher Mensch.

Hattest du denn schon zuvor Erfahrungen mit Cannabis gemacht?

Nein, ich habe nie Interesse daran gehabt, irgendwelche Drogen auszuprobieren. Alkohol zählte ich nicht zu Drogen, wie viele andere leider auch. Mir fiel aber schon früh auf, dass Kiffer, ich sage jetzt lieber Freizeitkonsumenten, nicht so aggressiv werden wie Alkoholkonsumenten.  

Verarbeitest du das Gras nur in Kapseln und Salben, wie es dein Freund dir anfangs zum Testen gab?

Genau. Einen Teil verarbeite ich in Kapseln mit einer Füllmenge von 950 Milligramm. Den zweiten Teil habe ich in Vaseline verarbeitet, nur die innere Einnahme hätte bei mir nicht für alle Symptome gereicht.

Darf man fragen, wie du sie in Vaseline verarbeitet hast? Einfach kleingehäckselt und der Vaseline untergerührt?

Nein … das habe ich zwar anfangs auch so machen wollen, aber zum Glück gibt es ja Google. Dort erfuhr ich, dass man besser 50 Gramm Gras zusammen mit 500 Gramm Vaseline in einem Topf erhitzt und das Ganze für 15 Minuten köcheln lässt. Anschließend wird alles einfach durch ein Sieb gefiltert und die noch flüssige Vaseline in einem verschließbaren Behälter im Kühlschrank aufbewahrt. So kann man sie problemlos bis zu einem Jahr verwenden. Ich schmiere mir seitdem jeden Abend vor dem Schlafengehen die Hände damit ein. Gegen meine Depressionen nehme ich jetzt dreimal am Tag eine Kapsel, und seitdem geht es mir wunderbar. Ich nehme hierfür

30 Gramm Blüten und erhitze sie für 15 Minuten im Bachofen auf 120 Grad. Später wird alles gut mit einem Grinder oder einer Kaffeemühle zerkleinert, dann nur noch 30 Milliliter Olivenöl unterrühren. Es entsteht eine feine homogene Masse, die sich gut in Kapseln füllen lässt. Das Öl dient zur verbesserten Aufnahme der Wirkstoffe im Körper.

Interessant. Anfangs sprachst du nur über dein Rheuma, jetzt hören wir, dass du auch unter Depressionen leidest. Ist das eine Begleiterscheinung?

Ja, das denke ich. Stellt euch mal vor, das alles, woran ihr Spaß hattet im Leben, auf einmal nur unter Schmerzen möglich ist. So war es bei mir, und ich igelte mich nur noch zuhause ein. Ich entwickelte einen unbegründeten Hass gegen alles und jeden. 

Es ist unglaublich, dass die BfArM dir die Erlaubnis verwehrt hat, obwohl dein Arzt dafür ist.

Nein, das stimmt nicht ganz. Sie wurde mir ja nicht verwehrt, sondern ich sollte erst die schulmedizinischen Möglichkeiten ausschöpfen, bevor ich einen erneuten Antrag stelle. Das sehe ich aber nicht ein. Ich habe für mich das beste Medikament gefunden, und das ist nun mal Cannabis sativa. Wenn es Kohlrabi gewesen wäre, würde ich heute Kohlrabi züchten. Ich habe damit keine Nebenwirkungen, kann wieder lachen und sogar kleine Aushilfsjobs annehmen. Warum soll ich mich dann weiter mit anderen Medikamenten quälen? Nur weil die Blödis da oben in unserer Regierung das nicht akzeptieren wollen? Nein, ich lebe nur einmal.

Wie sieht es denn beruflich aus, oder lebst du nur von dem Geld, das du für das Gras bekommst?

Nein, das würde niemals reichen. Ich verkaufe das Gramm für gerade mal fünf Euro. Im Monat sind das von beiden um die 300 bis 400 Euro, zusätzlich bekomme ich Hartz-IV.  

Ab Februar fange ich wieder einen 400-Euro-Job an, da freue ich mich schon drauf.

Schön, dann geht es ja bergauf für dich. Danke für das tolle Gespräch, wir haben wieder mal eine Menge gelernt.

E
Exitable