„Meine Medizin zum Runterkommen"

Exitable
03 May 2014

Sabine O. ist 35 und arbeitet als selbständige Veranstalterin und Künstlermanagerin in Berlin-Mitte, wo sie mit einer eigenen Firma Konzerte veranstaltet, Künstler betreut und vermittelt. Ihren stressigen Arbeitsalltag, der sich häufig auch auf die Wochenenden ausdehnt, blendet sie abends erfolgreich mit ein paar Tüten aus.


Sabine O. ist 35 und arbeitet als selbständige Veranstalterin und Künstlermanagerin in Berlin-Mitte, wo sie mit einer eigenen Firma Konzerte veranstaltet, Künstler betreut und vermittelt. Ihren stressigen Arbeitsalltag, der sich häufig auch auf die Wochenenden ausdehnt, blendet sie abends erfolgreich mit ein paar Tüten aus.

Sabine O. ist 35 und arbeitet als selbständige Veranstalterin und Künstlermanagerin in Berlin-Mitte, wo sie mit einer eigenen Firma Konzerte veranstaltet, Künstler betreut und vermittelt. Ihren stressigen Arbeitsalltag, der sich häufig auch auf die Wochenenden ausdehnt, blendet sie abends erfolgreich mit ein paar Tüten aus.

SSDE: Hattest du schon etwas über Cannabis gehört, bevor du selbst anfingst, das Kraut zu rauchen?

Sabine: Ja, nachdem ich mal irgendwo gehörte hatte, dass Hanf beziehungsweise Cannabis irgendetwas zum rauchen sei, war ich neugierig geworden und machte mich erst mal schlau. Ich glaube, dass ich zuerst die kleine „Hanf-Fibel“ und dann „Von Hanf ist die Rede“ von Hans-Georg Behr gelesen habe – so merkte ich schon lange vor meiner ersten Tüte, dass diese Pflanze noch viel mehr kann, als nur berauschen.

In welchem Alter hast du das erste Mal gekifft und wie war das für dich?

Meine ersten eigenen Erfahrungen waren ganz unspektakulär – an meine erste Tüte kann ich mich kaum noch erinnern. Ich glaube das war auf irgendeiner Uni-Fete – da nahm ich einen mir angebotenen Joint an und inhalierte vorsichtig. Die Wirkung war dann auch sehr angenehm und auf eine ganz unbekannte Art entspannend – das war wohl auch der Grund, dass es nicht bei der einen Erfahrung blieb. Aber ich war anfangs auch noch sehr vorsichtig und zog immer nur zwei oder drei Mal, bis sich eine leichte Wirkung einstellte. Mein Respekt vor dieser unbekannten Rauschwirkung war groß und so wollte ich mich nur in kleinen Schritten höheren Dosierungen aussetzen, um nicht über das gewünschte Ziel hinauszuschießen.

Hattest du zuvor auch schon andere Drogen ausprobiert?

Ja, Koffein, Alkohol und Tabak. Allerdings merkte ich sehr bald, dass mir Zigaretten nichts bringen und auch beim Alkohol war und bin ich eher zurückhaltend. Ich gehöre einfach nicht zu den Menschen, die Alkohol trinken, um sich den ultimativen Kick bis zum Umfallen zu geben und die sich dann hinterher nicht mal mehr an irgendetwas erinnern können. Auf derartige Filmrisse kann ich gerne verzichten.

Hast du  auch mal negative Erfahrungen mit Cannabis gemacht?

Nicht wirklich – irgendwie war da immer Alkohol mit im Spiel, wenn es mal nicht so angenehm war. Ich musste wohl erst lernen, dass ich durchaus ein paar Bier oder ein paar Gläser Sekt zur Tüte trinken konnte – aber eben auch, dass Hart-Alk plus Cannabis bei mir einen mehr oder weniger heftigen Absturz garantiert. 

Was waren deine intensivsten Cannabisrauscherfahrungen?

Eine meiner ersten selbstgedrehten Tüten hat mich so intensiv geplättet, dass ich mich auch noch heute gut daran erinnern kann. Da wollte ich es mir aber auch mal wieder richtig geben, denn zuvor hatte ich Uni-prüfungsbedingt ein paar Wochen ausgesetzt. Nachdem das durchgestanden war, wollte ich dann den Abschluss und meine neu gewonnene Freiheit gebührend zelebrieren. Also drehte ich mir einen ordentlichen Joint und zog ihn bis zum Ende durch. Was ich daraufhin erlebte, war eine rein körperliche Breitseite – denn geistig war ich hellwach und völlig klar. Das machte es natürlich noch unheimlicher und ich weiß noch genau, wie absurd ich es fand, dass ich physisch nicht in der Lage war, mich vom Sofa zu erheben und ins Schlafzimmer zu gehen. Nichtsdestotrotz habe ich diese Minuten des phlegmatischen Herumliegens, die mir wie Stunden vorkamen, durchaus genossen. Ich hatte ja nichts weiter vor und genoss ein intensives Kopfkino, was mir letztendlich auch verdeutlichte, dass eine Tüte nach mehrwöchiger Abstinenz doch wieder ganz anders wirkt, als ein täglicher Joint. Ich erinnere mich auch noch an eine Urlaubsreise nach Kanada Ende der 90er Jahre. Wir waren dort mit einem Kleinbus unterwegs und nahmen – entgegen allen behördlichen Empfehlungen – irgendwo in einem gottverlassenen Waldstück einen Tramper mit. Dieser stieg mit einer großen Reisetasche in unseren kleinen Van und es dauerte nicht lange, bis es im ganzen Innenraum sehr intensiv und vertraut roch. Als er mitbekam, dass er auf Gleichgesinnte gestoßen war, erzählte er uns freimütig, dass er gerade seine Outdoor-Ernte eingeholt habe. Diese sei ihm sehr gut gelungen und als Dankeschön überreichte er uns dann auch noch eine kleine Blüte. Die mussten wir natürlich erst mal trocknen – also umwickelten wir noch am selben Abend die Blüte mit Alu-Folie, in die wir eine Reihe winziger Löcher stachen und hielten das Ganze – wie eine Bratwurst – über unser Lagerfeuer, bis das Gras ganz trocken war. Wie sich herausstellte, war es zuviel für eine und zuwenig für zwei Tüten – war ja klar, dass wir dann nur eine drehten. Da saßen wir also mitten in der kanadischen Wildnis neben einem Gebirgsbach und rauchten eine der stärksten Tüten unseres Lebens – mit dem Resultat, dass ich danach ganz intensive Hörerlebnisse hatte. Das war eine ganz überraschende Akustik – ich weiß noch, wie ich das Lagerfeuer und eigentlich alles Visuelle vorübergehend ausblenden und mich nur auf die Geräusche konzentrieren konnte: Das Plätschern des Baches, der Wind in den Baumkronen und die vielseitigen Geräusche des Waldes mit all seinen tierischen Bewohnern. Das war schon etwas einmaliges, was ich da dank Cannabis erleben durfte.

Zurück in die graue Alltagswelt - in welchen Situationen hast du lieber einen klaren Schädel und verzichtest daher auf jeglichen Cannabiskonsum?

Eigentlich immer, wenn ich weiß, dass ich leistungsfähig sein muss – also von früh bis abends. Wenn ich dann nach einem langen Arbeitstag nach Hause komme, ist Cannabis so etwas wie Medizin für mich, da es mir ganz effizient dabei hilft, für zwei-drei Stunden abzuschalten und die stressige Büroarbeitswelt zu vergessen. So wie andere abends ihr Bier oder ihren Wein trinken, rauch’ ich mir halt ein Tütchen und kann danach auch prima ein- und durchschlafen – meine Schlafstörungen gehören somit der Vergangenheit an. Wenn ich mir in Ausnahmefällen auch schon mal mittags eine Tüte anzünde, dann ist das definitiv kein Arbeitstag. Dann ist Wochenende oder Urlaub angesagt - und da geht so was auch schon mal. Aber im Alltag kiffe ich eigentlich nie vor 20 Uhr und dann auch nur zwei oder maximal drei Tüten, bevor ich hundemüde ins Bett falle. Aber diese zwei-drei Tüten brauche ich einfach zum runterkommen.  

Klingt so, als wäre Hanf ein reines Beruhigungs- und Schlafmittel für dich – kannst du da überhaupt noch auf Partys kiffen, ohne müde zu werden?

Klar, denn das ist ja auch irgendwie Kopfsache. Außerdem gibt’s ja auf allen Partys gemütliche Chill-Ecken, in die man sich zurückziehen und einen rauchen kann. Außerdem trinke ich dann meist auch ein-zwei Bier oder Gläser Sekt dazu und das belebt mich schon. Da bin ich ganz schnell in Feierlaune und auch gar nicht müde – es sei denn, es ist schon ganz spät in der Nacht. 

Weiß eigentlich deine Familie, dass du kiffst?

Da meine Eltern geschieden sind, gibt’s da keine einheitliche Antwort. Mein Vater weiß es und kifft mit und mit meiner Mutter habe ich darüber bisher noch nicht gesprochen. Ich wollte das zwar nie verheimlichen, aber ich kiffe auch nicht offen, wenn ich mal wieder bei meiner Mutter zu Besuch bin. Das hat aber auch damit zu tun, dass das ein Nichtraucherhaushalt ist, wo ganz grundsätzlich nicht gequalmt wird - meine Mutter kriegt ja schon einen Anfall, wenn sie Zigarettenrauch auch nur erahnt. Mittlerweile glaube ich zwar, dass es gar kein Problem wäre, mal mit ihr darüber zu reden – schließlich sieht sie ja, dass ich mein Leben im Griff habe und man sich keine Sorgen um mich machen muss. Aber bisher ergab sich einfach noch kein passender Moment, in dem ich gedacht habe: Jetzt ist es soweit - jetzt erzählst du es ihr.

Hast du Angst vor einer möglichen Strafverfolgung oder hattest du sogar selbst schon mal Ärger mit der Polizei wegen Cannabis?

Zum Glück war ich immer unter dem Radar und hatte selbst nie Probleme mit der Polizei. Ich bin nie aufgefallen und hoffe natürlich, dass das auch so bleibt – aber so richtig Angst habe ich auch nicht. Was wollen die mir schon? Ich habe – wenn überhaupt – immer nur geringfügige Mengen für den Eigenbedarf dabei, die vom Gesetz mittlerweile toleriert werden. Und über die Führerscheinschiene kriegen sie mich auch nicht, da ich mich nicht von einem Auto abhängig gemacht habe. Da kann ich doch ganz locker bleiben, auch wenn ich mich mit dem Rauschmittel meiner Wahl immer noch in einer gesellschaftlichen Grauzone befinde.

Würdest du sagen, dass du abhängig von Cannabis bist?

Körperlich nicht – psychisch vielleicht schon ein bisschen. Allerdings ohne nennenswerte Entzugserscheinungen – wenn ich mal ein paar Tage oder Wochen nicht kiffe, geht es mir deswegen nicht schlechter. Ich schlafe nur schlechter ein und durch. Wenn ich nicht kiffen würde, würde ich mir vielleicht ein paar beruhigende pharmazeutische Drogen einwerfen. Und ob die dann wirklich so viel besser für mich wären, wage ich einfach mal zu bezweifeln. 

Wie sieht die Zukunft von Cannabis in unserer Gesellschaft deiner Meinung nach aus?

Ich glaube, dass Hanf vor allem wirtschaftlich zurückkommt – schließlich ist diese Pflanze so vielfältig nutzbar und stellt in unserer von Rohstoffknappheit geprägten Welt eine schnell nachwachsende Ressource dar, die das Potential hat dabei zu helfen, einige lebenswichtige Probleme der Menschheit zu lösen. Heute wissen wir ja, wie es dazu kam, dass diese Nutzpflanze verboten wurde – vielleicht führen ähnliche ökonomische Erwägungen bald zu einem Comeback im großen Stil. Es gibt ja auch schon erste Ansätze, aber noch ist der bürokratische und sicherheitstechnische Aufwand für den Hanfanbau in Europa viel so hoch, als dass er für Landwirte attraktiv sein könnte. Ich glaube nichtsdestotrotz, dass die Menschheit Cannabis noch sehr brauchen wird – nicht nur wegen seiner psychoaktiven Möglichkeiten, sondern auch als Papier- und Textilpflanze, zur Bodenverbesserung und als Nahrungsmittel. Das kann natürlich noch ein paar Jahre – vielleicht sogar Jahrzehnte – dauern, aber daran wird wohl kein Weg vorbeiführen. Und was die Kifferei betrifft, so ist es ja auch kein Geheimnis mehr, dass Cannabis heutzutage in allen gesellschaftlichen Schichten anzutreffen ist und auch von immer mehr Politikern toleriert oder sogar konsumiert wird. 

Du schaust also durchaus optimistisch in die Zukunft?

Warum auch nicht – die Zeichen stehen ja auf Veränderung. Vielleicht werden kommende Generationen einen ganz anderen Umgang mit Cannabis pflegen – jedenfalls glaube ich nicht, dass es den Massenmedien noch einmal gelingt, eine großangelegte Verteufelungs- bzw. Verbannungskampagne zu realisieren, die der Bevölkerung erfolgreich vermittelt, wie böse dieses Kraut sei. Es wird wohl mittelfristig auf eine gesamtgesellschaftliche Akzeptanz hinauslaufen, denn die Wahrheit wird sich langfristig nicht mehr verdrehen oder verdrängen lassen – auch wenn sich derzeit nur wenige Politiker diesem Thema sachlich aufgeschlossen widmen, weil sie Angst davor haben, von der populistischen Klatschpresse dafür angefeindet zu werden. Aber da es inzwischen auch in Deutschland immer mehr Orte gibt, in denen du nicht gleich blöd angemacht wirst, wenn du dir eine Tüte drehst, glaube ich schon, dass sich das alles weiter und in die richtige Richtung entwickeln wird. Zumal mit Uruguay ja mittlerweile das erste Land Cannabis weitgehend legalisiert hat, und in den USA gibt’s ja auch schon zwei Bundesstaaten, die Schluss mit der Cannabisprohibition gemacht haben. Und hier in Berlin wird immer noch über einen Coffeeshop am Görlitzer Park diskutiert.

 Was würdest du politisch und juristisch ändern, wenn du die Macht dazu hättest?

Ich würde Drogenkonsumverbote weitgehend abschaffen und eher auf eine rechtzeitige, umfassende und tabulose Aufklärung der Jugend setzen. Warum nicht ein Fach „Rauschkunde“ an den Schulen einführen? Da würde man dann auch ganz sachlich zu den Gefahren von Alko-Pop-Getränken aufgeklärt, die ja immer noch gerne verharmlost werden. Es ist wirklich allerhöchste Zeit, endlich sachliche Informationen über Wirkungen und Gefahren der verbreitetsten Drogen zu vermitteln, anstatt weiterhin die Illusion einer drogenfreien Gesellschaft zu propagieren. Genauso nachsichtig, wie man bei Alkohol, Kaffee und Nikotin ist, so übervorsichtig und hysterisch ist man in Bezug auf willkürlich verbotene Drogen. 

 Kannst du dir vorstellen, eines Tages ganz mit Cannabis aufzuhören? Was müsste geschehen, damit das für dich denkbar wäre?

Ich müsste ein total relaxtes und gechilltes Leben führen, in dem ich abends keine Tüte mehr zum runterkommen bräuchte. Wenn ich im Urlaub bin, fällt es mir tatsächlich deutlich leichter, auf Cannabis zu verzichten, als im normalen Arbeitsalltag. Aber ich kann weder sagen „Ich werde niemals aufhören“ noch „Ich werde definitiv aufhören“ – schließlich kann ich nicht in die Zukunft sehen. Da ich mich mit Cannabis aber noch nie schlecht gefühlt habe, gab es bisher auch keinen Grund, darüber nachzudenken, ob ich damit aufhören sollte.

E
Exitable