Steht Marokko vor der Legalisierung?

Exitable
09 Sep 2014

Oben im Rif-Gebirge haben Generationen von ökonomisch an den Rand gedrängten Bauernfamilien sich verteidigt, gekämpft und zahllose Jahre im Gefängnis verbüßt, weil sie Cannabis anbauen, um sich die sonst unerreichbaren kleinen Freuden des Lebens leisten zu können - ode


Oben im Rif-Gebirge haben Generationen von ökonomisch an den Rand gedrängten Bauernfamilien sich verteidigt, gekämpft und zahllose Jahre im Gefängnis verbüßt, weil sie Cannabis anbauen, um sich die sonst unerreichbaren kleinen Freuden des Lebens leisten zu können - ode

Oben im Rif-Gebirge haben Generationen von ökonomisch an den Rand gedrängten Bauernfamilien sich verteidigt, gekämpft und zahllose Jahre im Gefängnis verbüßt, weil sie Cannabis anbauen, um sich die sonst unerreichbaren kleinen Freuden des Lebens leisten zu können - oder Errungenschaften wie Schulbildung, medizinische Versorgung und anständige Häuser. Die Industrie wird niemals in diese Berge kommen, es gibt keine mineralischen Bodenschätze auszubeuten, und in einer monetarisierten Welt bringt der Anbau von Nahrungsmitteln nicht genug, um eine Familie gründen zu können - ihre Cannabisernten dienen somit vielen Zwecken. Ihre kulturelle und ökonomische Existenz hängt davon ab. Das bedeutet: Jedes Mal, wenn ein Oberhaupt verhaftet oder eine Razzia auf einer Farm durchgeführt wird, wird auch ihre Kultur und Wirtschaft angegriffen und ausgebremst. In Marokko ist niemand glücklich mit der gegenwärtigen Dynamik zwischen Gesetz und Realität. Aber Allahu Akbar! Veränderungen sind im Gange! Die staatlichen marokkanischen Behörden haben offiziell den Prozess der Legalisierung eingeleitet. Von den Feldern des Rif bis zu den Parlamentskammern in Rabat ist die Legalisierung von Cannabis zu einem der brandaktuellsten Themen innerhalb des Landes geworden.

Zur Zeit ist der Fokus der Cannabis-Politik darauf gerichtet, die positive Nutzung der Pflanze und ihren Anbau zu erforschen und wie eine legitimierte Cannabisindustrie in die staatliche Wirtschaft am besten integriert wird. Die Hauptaktivisten dieser Kampagne kommen aus der PAM (Party of Authenticity and Modernity). Diese Partei wurde im Rahmen der Reformen, die den sich gerade erst ereigneten Aufständen in Nordafrika folgten, vom König selbst gegründet. Die Tatsache, dass sie die Legalisierung propagieren, zeigt: Sogar der König unterstützt die Sache.  

Die PAM hofft, mit einer staatlich kontrollierten Cannabisindustrie werden die Einkommen der Bevölkerung im Rif-Gebirge als rechtmäßig anerkannt und “zu einer wichtigen  [legal] wirtschaftlichen Ressource des Landes werden.“ Somit würde auch Marokkos größte Devisenquelle legitimiert. Seit die Partei des Königs Mitte 2013 die neue Debatte in das Parlament trug, wurden von einer zweiten bedeutenden Partei Gesetzesentwürfe ausgearbeitet, die die Industrie regulieren sollen. Zwar ist noch nichts endgültig entschieden, aber eine Legalisierung in irgendeiner Form ist zweifellos in der Vorbereitung.  

Zu großer Aufregung gibt es aber noch keinen Grund. Marokko ist nicht das nächste Uruguay; der persönliche Konsum von Cannabis ist zwar nicht ausdrücklich verboten, aber wenn das Land ganz offen den gelegentlichen Konsum zum Zweck der Erholung und Entspannung legalisiert, würde es gegen internationale Übereinkommen verstoßen, die es unterzeichnet hat und deshalb mit Sanktionen belegt werden. Vor dem Hintergrund der Nationalreligion und ethnischen Zugehörigkeit sind sie natürlich nervös, einen derart mutigen Schritt zu wagen. Sie haben ihre Position ganz klar zum Ausdruck gebracht:

“Es ist nicht unser Ziel, die Produktion von Drogen zu legalisieren, sondern nach möglichen medizinischen und industriellen Nutzungen dieser Pflanze zu suchen und eine alternative Wirtschaft in der Region zu gestalten...  Sicherheitspolitik löst nicht das Problem, denn es handelt sich um eine ökonomische und soziale Frage, so dass die PAM versucht, eine überzeugende Alternative zu finden. 

Sich verändernde internationale Entwicklungen beeinflussen 2014 auch die marokkanische Cannabiswelt. Die Popularität und Verfügbarkeit legaler synthetischer chemischer Highs in der westlichen Welt hat auf Nordafrika eine überraschende Auswirkung. Dadurch ist die europäische Nachfrage für marokkanisches Hasch in den letzten Jahren stark zurückgegangen, und immer mehr der Nachfrage verlagert sich durch Algerien nach Osten, was dessen Regierung verärgert und deren Ablehnung jeder Form von Legalisierung bestärkt, die Marokko anregen könnte. Das hat einen Dominoeffekt auf die marokkanischen Anbauer, denn sie müssen eine Kürzung ihrer Einnahmen hinnehmen, da der algerische Markt weit weniger profitabel ist als der europäische.

Doch trotz des allgemeinen Trends in Europa werden in Spanien Rekordmengen marokkanischen Haschs beschlagnahmt - sehr wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass verarmte Spanier versuchen, zusätzliches Geld zu verdienen, um in ihrer brutalisierten Wirtschaft über die Runden zu kommen. Die spanische Regierung liegt sich mit den Marokkanern wegen der "Geißel Haschisch" ständig in den Haaren. Ein kürzliches spanisches Ersuchen an die marokkanischen Behörden, mehr zu tun, um Haschlieferungen zu kontrollieren, erhielt die Antwort:"Ihr solltet mehr dafür tun, damit nicht so viele von euren Leuten herüberkommen, um es zu kaufen!"

Wenn wir all dies in Betracht ziehen, ist schwer zu sehen, dass das beste Hasch der Welt in absehbarer Zeit legalisiert werden wird, doch wenigsten die Bevölkerung des Rif sollte bald legal den Lebensunterhalt mit Hilfe der Cannabispflanze verdienen können.  

Aber wie beeinflusst dieses ganze politische Gerede eigentlich das Leben an den Straßen und Hängen des Rif-Gebirges?

Der Besitz von fünfzehn Gramm oder weniger wurde immer als Bagatelldelikt betrachtet, und man musste schon ein rechter Trottel sein, um wegen dieser Menge in Schwierigkeiten zu kommen. Asoziale und problematische einheimische Individuen werden wegen geringfügiger Cannabis-Vergehen verhaftet, aber dies wird eher als ein Vorwand genommen, um sie wegen eines anderen, eines widerlichen Verhaltens, etwa Betrug oder Belästigung von Touristen, zu disziplinieren. Großangelegte Razzien von Farmen durch die Behörden, wie sie 2009/10/11 durchgeführt wurden, sind schnell abgeflaut und die Atmosphäre ist sehr viel lockerer als noch vor wenigen Jahren.  "Aber einige Leute sind besorgt: Nach einer Legalisierung könnte es vielleicht kein Haschisch mehr geben, vielleicht verändern sie unsere Pflanzen und bringen uns dazu, für die Industrie anzubauen - wieviel Geld springt dann noch für uns heraus? Es wird billig sein und wenn sie uns nötigen, große Pflanzen anzubauen, werden wir Geld für Dünger ausgeben müssen. Pflanzen für die medizinische Verwendung anzubauen kann für dieses Land gut sein, wir haben die Fähigkeiten und wir haben die Pflanzen, aber riesige Cannabispflanzen wie ihr sie in Europa habt, wäre hier verrückt. Das sind Spinnereien!“ 

Politische Anerkennung der sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung von Cannabis ist hier schön zu sehen. Das ist seit langem überfällig, ebenso eine Änderung in den Gesetzen des Landes. Wird Marroko nun einen Schritt in Richtung kommerzielle Kolonialisierung durch Unternehmen und der Ausrottung bewährter Fertigkeiten und Zuchtsorten gehen, oder danach streben, auf dem Wissen, dem Können und dem genetischen Reichtum aufzubauen von dem, was bereits existiert?

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Exitable