Vom Grow in die Psychiatrie

Soft Secrets
07 Feb 2019

Cannabis-Pflanzer als „Gefahr für die Öffentlichkeit“

Text: Robert B. Unseren Interviewpartner nennen wir zu seiner Sicherheit „Justizopfer“. Es ist leider kein Einzelfall, dass ein mittelgroßer Grower von deutschen Gerichten mit einer empfindlichen Strafe geahndet wird. Den Tätern wird neuerdings ein Drogenproblem unterstellt, womit sie sich weiterhin strafbar machen und damit die öffentliche Sicherheit gefährden. Das Strafmaß wird deswegen mit einem sogenannten 64er verknüpft. Unser Justizopfer ist Cannabisliebhaber und muss in Zeiten der Legalisierung in einer forensischen Entzugsanstalt eine Zwangstherapie über sich ergehen lassen – weil er seinen Jahresvorrat Marijuana anbaute. Es war sein erster Anbau in einer Garage. Der China-Luftentfeuchter löste den verräterischen Brand aus. Die Polizei stand anschließend bei ihm in der Wohnung und fand zwei Kilo Trockenmaterial mit stolzen 17,5 % THC Wirkstoffgehalt. Es standen 68 Pflanzen in der Garage, die ein weiteres Kilo in den Prozess einbrachten. Aufgrund der Sachlage folgten sechs Monate U-Haft mit „freundlicher“ Gesellschaft echter Straftäter. Bei den Durchsuchungen wurden weder Verpackungsmaterial noch Geld gefunden. Nur der Besitz und die Herstellung von Marijuana wurden ermittelt. Unser Ersttäter hat direkt zwei Jahre und neun Monate samt 64er für ein Jahr Zwangstherapie erhalten. Anschließend wird er gewiss aufgrund einer zu erwartenden Reststrafe auf Bewährung die nächsten Jahre Urinscreenings erdulden müssen. Noch ist das Urteil nicht amtlich, da die Revision geprüft wird. Die drohende Unterbringung in der forensischen Psychiatrie wird mit einem Hang zum Übermaß von Cannabiskonsum begründet, der in einen Rückfall und damit Folgetaten münden kann, die wiederum die öffentliche Sicherheit oder auch die Volksgesundheit gefährden. Damit ist diese Zwangstherapie unter Berücksichtigung von §62 StGB juristisch verhältnismäßig, so das Urteil. Nach zehn Jahren könnten die Einträge der Strafakte aufgrund der rechtlichen Löschfrist wieder verschwunden sein. Die psychiatrische Akte ist als lebenslänglicher Stempel zu werten.

Das Timing könnte nicht schlaechter sein. Cannabis wird in immer mehr Ländern legal, aber du stehst vor dem Richter und hast Auflagen und Urinscreenings zu erfüllen. Was ist das für ein Gefühl?

Justizopfer: Ich frage mich, seit wann ich hinter der (DDR-) Mauer lebe und „Westfernsehen“ schaue. Es löst ein Kopfschütteln aus. In Kanada und immer mehr auch in den USA ist Marijuana legal, und ich muss in eine Entziehungsanstalt. Ich habe mich so weit schon eingelesen, Zwangsmedikation und Fixierung sind zum Glück die letzten Mittel der Wahl.

Dir wird ein übermäßiger oder bereits suchtgemäßer Cannabiskonsum unterstellt. Stimmt das?

Justizopfer: Es stimmt, dass ich viel rauche. Ich kann auch mal aufhören. Aber generell kein Cannabis zu rauchen, dafür sehe ich persönlich für mich keine Notwendigkeit.

Ich bin hier bei dir zu Besuch und befinde mich in einer ordentlichen und gepflegten Wohnung. Auch wirtschaftliche Not scheinst du derzeit nicht zu erleiden. Wie macht sich laut Staatsanwalt dein „Drogenproblem“ bemerkbar?

Justizopfer: Wegen meines „übermäßigen“ Konsums habe ich beschlossen, selber zu produzieren. Das ist eine Straftat im Sinne des BtMG, womit ich die Volksgesundheit gefährde.

Welche Beweggründe hattest du denn, direkt eine ganze Garage anzumieten?

Justizopfer: Ich hatte die Garage eigentlich zur Unterbringung von Baumaschinen bereits gemietet. Mit dem ganzen Legalierungs-Hype habe ich gedacht, dass ich das auch kann. Ich hoffte sogar darauf, dass ich das dann ganz schnell mit neuer Gesetzeslage auch legal dürfte. Da ich ohnehin leidenschaftlicher Hobbygärtner bin, wäre der legale Marijuana-Anbau reine Selbstverwirklichung geworden, wenn es geklappt hätte.

Die Garage ist abgebrannt, das stand in der Zeitung. Du wurdest schon am selben Tag verhaftet, hattest aber keine Vorgeschichten. Konnte dein Anwalt dich nicht aus der Haft rausholen?

Justizopfer: Nein, zwei Kilo Trockenmasse waren dem Staatsanwalt und der Haftrichterin zu viel für Eigenkonsum, mir wurde Handel unterstellt. Zudem wurden in meiner Wohnung 48 weitere Pflanzen ohne Blütenansätze gefunden. Da meine Angehörigen im Ausland leben, wurde mir Fluchtgefahr unterstellt. Mein Anwalt hatte von der Staatsanwaltschaft schlechte Signale erhalten und nicht einmal mehr Haftprüfung beantragt. Die Erfolgsaussichten wären ohnehin minimal gewesen, da ich jegliche zusätzlichen Aussagen zum bereits Erwiesenen verweigerte.

Wie kommt es zu diesem 64er, der als forensische Unterbringung gewiss nicht in deinem Sinne ist?

Justizopfer: Während meiner U-Haft war eine Gutachterin bei mir. Auf Anraten meines Anwalts habe ich zu Konsum und Tat keine Angaben gemacht. Wir sind nur meinen Lebenslauf durchgegangen. Nach diesem Gespräch glaubt sie, dass bei mir keine Cannabis-Abhängigkeit vorliegt, da ich auch keinen Entzug hatte und keine Medikamente brauchte. Mein Anwalt ging anfangs von einer Bewährungsstrafe aus. Da mein Cannabis sehr hochwertig war, so dass ich die „nicht geringe Menge“ um das 73-fache überschritten habe, wollte der Richter mich nicht so rauslassen. Erst in der Verhandlung hat der Richter das Verfahren in die Richtung §64 StGB gedrängt. Er hat auch die Gutachterin mit seinen Fragen in diese Richtung gebracht. Die Gutachterin konnte den Drang zum Konsum nicht verneinen. Mein Anwalt hielt den 64er zuerst für völlig ausgeschlossen, so dass wir von der Entwicklung sehr überrascht waren.

Für deine strafrechtlichen Einträge gibt es Löschfristen, deine Akte könnte in zehn Jahren wieder sauber sein. Deine psychiatrische Akte bleibt dir ein Leben lang erhalten und wird bei jeder Auffälligkeit wieder geöffnet. Konntet ihr den 64er nicht abwenden? Eine reine Haftstrafe wäre doch „sicherer“ für deinen künftigen Weg.

Justizopfer: Es gab diesen Verhandlungsspielraum vor dem Landgericht nicht. Ich und mein Anwalt hatten keinen Einfluss mehr auf diese Verfahrenswende. Deswegen bin ich erst einmal in Revision gegangen. Mein Anwalt erklärt leider, dass wir nur geringe Chancen haben.

Du hast einen verkürzten 64er. Ein 64er läuft eigentlich über zwei Jahre, bei dir wird auf ein Jahr verkürzt. Wie ist das zu verstehen, was erwartet dich bei Ablehnung deiner Revision?

Justizopfer: Die Gutachterin hat erklärt, dass ich eine geringfügige Beeinträchtigung durch meinen erst dreijährigen Konsum habe, den ich problemlos abbrechen konnte. Daher hielt sie ein Jahr für geboten, aber auch für ausreichend. Wenn die Revision abgelehnt wird, dann ist das Urteil innerhalb von wenigen Wochen rechtskräftig. Es ist noch unklar, ob ich ohne Wartezeit in die Entziehungsanstalt aufgenommen werde oder ob ich auf meinen Platz in einer JVA warte. Wahrscheinlich sind sechs Monate von den zwölf Monaten stationär, davon drei Monate geschlossen. Das letzte halbe Jahr verbringe ich möglicherweise in einer Wohngruppe. Nachdem in den ersten drei Monaten überprüft wird, wie „gefährlich“ ich bin, darf ich anschließend vermutlich ein Smartphone nutzen. [caption id="attachment_7238" align="alignnone" width="800"]Vom Grow in die Psychiatrie Zwangstherapie für diesen Hanf?[/caption]

Es ist davon auszugehen, dass du in deiner Zwangstherapie viele Härtefälle kennenlernst, in U-Haft hast du gewiss auch bereits Bekanntschaften geschlossen. Wie gestaltet sich das, was für ein Feeling ist das?

Justizopfer: In der kleinen Haftanstalt gab es zum Glück keine Gewalt. Aber den ganzen Tag allein auf Zelle und nur viermal die Woche Duschen ist gewöhnungsbedürftig. Es ist für mich nicht ganz klar, wie 63er (Gewalt- und Sexualstraftäter) von 64ern (Alkohol- und Drogenauffällige) getrennt werden. Selbst beim 64er wird es sehr harte Fälle geben. Ich bin jetzt schon Monate auf freiem Fuß und habe keine Ansprechpartner, die mir sagen, wo ich im Fall der Fälle untergebracht werde oder wie ich mich vorbereiten soll. Ich schwebe in völliger Ungewissheit und habe ein ungutes Gefühl. Wenn ich 200 Kilometer weiter weg untergebracht werde, führt das zu Problemen in meinem sozialen Umfeld.

Das ist schon der nächste Punkt. Du hast derzeit eine gute Wohnung und kannst noch mit Reserven überbrücken. Wie steht es denn nach solch einer Therapie um dich? Kannst du deinen Lebensstandard und dein Umfeld halten?

Justizopfer: Die Wohnung werde ich veräußern müssen. Ich lebe mit meiner Freundin zusammen, die während der Übergangszeit anders unterkommen muss. Ich werde sie nicht mehr jeden Tag sehen. Meine Mutter ist gesundheitlich stark eingeschränkt, ich kann mich nicht um sie kümmern. Es ist ein Riss durch die Familie und mein Umfeld, da ich jetzt ein „Drogenkrimineller“ bin.

Wenn du diese drohende Zwangstherapie überstanden hast, bist du weiterhin ein psychiatrischer Fall und hast möglicherweise „gut mitzumachen“. Wie siehst du deine Zukunft nach der Zwangsmaßnahme?

Justizopfer: Es könnte schwierig werden, aufgrund dieser Lebensereignisse einen guten Job zu finden. Ich würde möglicherweise in das europäische Ausland gehen, damit diese Krankenakte mich nicht mehr einholt. Vielleicht reicht meine berufliche Qualifikation, um in einem Gewächshaus von Tilray in Portugal zu arbeiten.

Hier im Interview heißt du zu deinem eigenen Schutz „Justizopfer“. Siehst du dich als Opfer der Justiz?

Justizopfer: Ich kann dem Richter keinen Vorwurf machen, das steht nun mal so im Gesetz. Aber dass das Gesetz fragwürdig ist, das ist keine Frage.

Diese Geschichte ist für unsere Leser deswegen interessant, da dein 64er für ein paar Pflanzen kein Einzelfall ist. Auch andere Grower werden mit der Strafverfolgung zu psychiatrischen Fällen degradiert. Ist das eine Endzeit-Masche, um Grower trotz voranschreitender Legalisierung noch einen lebenslänglichen Stempel aufzudrücken?

Justizopfer: Ja. Ich gehe davon aus, dass nach der drohenden Zwangstherapie und folgenden Bewährungszeit Marijuana auch in Deutschland für den normalen Genusskonsum legalisiert ist.

Du siehst also auch für einige unserer Leser eine große Gefahr in dieser Verbots-Endzeit-Phase. Wie würde dein Rat unter Freunden lauten?

Justizopfer: Ich wollte mir meinen Jahresvorrat anlegen, da kannte ich den Wortlaut des BtMGs noch nicht. Es gibt §29 (5): „Das Gericht kann von einer Bestrafung nach den Absätzen 1, 2, und 4 absehen, wenn der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut ...“ Das heißt, besser kleine Mengen kontinuierlich, als einmal für das ganze Jahr anbauen. Da die Richter immer nach Pflanzenzahl gehen, besser wenige Pflanzen und dafür gute. Und sich einfach nicht erwischen lassen!
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