Medical Cannabis Bike Tour 2014

Exitable
02 May 2014

Sie kommen aus ganz Europa und selbst aus Nordamerika - Norweger, Spanier, Briten, Deutsche, Franzosen, Amerikaner, Slowenen und ein Kanadier - die Medical Cannabis Bike Tour wird zunehmend international. Sogar vier Frauen sind dabei, was sich natürlich auf das Abschneiden der männlichen Biker nur positiv auswirken kann. Unsere Ausgangsbasis ist die Stadt Onda, wo der Cannabis-Zirkus einen Tag vor dem Start ein Camp in einem unpersönlichen Hotel einrichtete. Die spanische Frühjahrssonne garantiert angenehme Temperaturen. Etwas lästig ist der Wind, der aus Norden bläst. Verflucht, das ist genau die Richtung, in die wir morgen radeln müssen. Doch wir können jetzt keinen Rückzieher mehr machen: Die Sponsoren haben dieses Ereignis von geradezu historischer Tragweite erst möglich gemacht und zählen auf uns. Für die Wissenschaft tun wir alles!! Von Jan Sennema.


1. Etappe: Onda -Tortosa, 130 km
Wir hatten wirklich geplant rechtzeitig aufzubrechen, aber der Pizzeria-Besuch am Abend zuvor war etwas aus dem Ruder gelaufen. Das lässt sich in diesem Zusammenhang auch über unseren Bierkonsum sagen. Aber was soll's, das Wetter ist herrlich, bringen wir die 130 Kilometer doch hinter uns. Ich trage Radshorts mit drei dicken Einlagen übereinander. Klagen wegen Schmerzen, hervorgerufen durch langes Sitzen auf dem Sattel, werden von mir nicht zu hören sein. Um 10 Uhr 30 fährt das Hauptfeld von Onda ab. Das flache Land ist noch öde wegen des zurückliegenden Winters. Die Route führt an ausgedehnten Mandarinenplantagen vorbei und an Feldern mit Mandelbäumen, die in voller Blüte stehen. Der Duft ist berauschend - Aromatherapie auf Rädern. Nachdem wir knapp 70 Kilometer gegen den starken Wind zurückgelegt haben, kommt die Mittagsmahlzeit als eine willkommene Erholungspause. Kein heißes Nudelgericht wie letztes Jahr, sondern Brot und ... Bananen, Bananen und nochmals Bananen. Während wir abgebrochene Stücke Baguette essen, erreicht uns eine schlechte Nachricht: Cannabis-Celebrity Jorge Cervantes hat die Tour verlassen! Die Bremsen von Cervantes' nagelneuem Fahrrad hatten blockiert, weshalb sich das langhaarige Federgewicht zweimal überschlug. Bei all den Steinen entlang der Straße hätte dies schlimmer enden können als mit einer geschwollenen Hand und Schürfwunden am Bein. Die Enttäuschung in Cervantes' Gesicht ist nicht zu übersehen. Er sieht aus wie ein kleiner, trauriger Junge in dem nun nutzlos gewordenen Radfahrer-Outfit. Hasta la vista, Jorge!

 

2. Etappe: Tortosa – Selva del Camp, 118 km
Unser heutiges Ziel ist Selva del Camp, hoch oben in den Hügeln. "Hügel" klingt kindisch, aber wir wohlmeinende Amateure denken anders darüber. Wirklich nur ein 800 Meter hoher Steinhaufen soll er sein?! Und wenn die Straße zum Gipfel 30 Kilometer lang ist? Das Hauptfeld löst sich schnell auf und von den Hügelspitzen aus ähnelt es gelb-schwarzen Punkten, die wie versprengte Ameisen die Steigung hinaufkriechen. Die Geschwindigkeiten sind extrem unterschiedlich, die langsamsten "Bergfahrer" kommen in einem Schneckentempo von 7 km/h voran, während die echten Abfahrtspezialisten mit Geschwindigkeiten von 70 km/h hinabjagen und unterwegs sogar Autos überholen. Der Wind lässt nicht nach, und wenn die Sonne hinter den Wolken verschwindet, wird es extrem kalt. Während des Mittagessens faltet Betreuer Alex einige Stücke Karton zu behelfsmäßigen, isolierend wirkenden Gebilden, die sich einige Ladies unter ihre Jerseys schieben. Sexy!

 

Eine schöne Trainingstour!?
Es hat etwas Lächerliches an sich: wenig trainierte, Gras rauchende, Bier trinkende erwachsene Menschen, die so tun als seien sie professionelle Radsportler. Hat man jedoch erst einmal den zu schweren Körper auf den schmalen Plastikstreifen eines Rennradsattels bugsiert, vergisst du, dass du im Vergleich zu den durchtrainierten Windhunden vor dem Hauptfeld wie ein Masthuhn wirkst. In einem (unvorteilhaft) engen Fahrertrikot fällt es einem leicht, sich vorzustellen, man sei ein Cancellara, Contador oder Mollema. Und auf einem leichten Rennrad werden erwachsene Männer zu wetteifernden Streithähnen, was gleichermaßen für die Teilnehmer der Medical Cannabis Bike Tour gilt. Die Moral sinkt in den Keller, wenn du überholt wirst und nicht mehr aufschließen kannst. Sieh an, da ist wieder dieser verfluchte Franzose Jean-Philippe auf seinem teuren Fahrrad - und dabei ist es nur sein Ersatzrad! Er ist ein "Amateur" - im Radsport bedeutet das, man fährt im Durchschnitt zwei Kilometer pro Stunde langsamer als Profis, für die 40 km/h gegen den Wind als langsam gilt. Rennen inbegriffen fahren solche Amateure pro Woche mehr als 250 Kilometer. Kein Vergleich natürlich für uns heruntergekommene Cannabis-Liebhaber. "Schöne Trainingstour", hörte ich ihn vorher sagen. Daan vom Coffee Shop Dizzy Ducks in Den Haag kann es nicht fassen. "Dieser Typ fliegt den Berg hoch, ohne dass er auch nur ein bisschen ins Schwitzen kommt...", sagt er mit einer Mischung aus Verärgerung und Respekt, bevor er er mich uneinholbar hinter sich lässt.

 

3. Etappe: Selva del Camp – Barcelona, 128 km
Nach zwei Tagen Radfahren beginnen die Muskeln verrückt zu spielen. Stöhnend und mit verkrümmten Beinen taumeln wir zum Frühstücksbuffet. Glücklicherweise bewirkt Cannabis auch eine Linderung bei Muskelschmerzen. Paradise Seeds-Frontmann und Tour-Organisator Luc warnt, dass uns heute der eigentliche Härtetest bevorsteht: Es geht in die Berge! Aber erst wollen wir mal sehen, ob wir vom Frühstückstisch hochkommen, dann sehen wir weiter. Die ersten Kilometer sind nicht allzu schlimm. Der Wind scheint nicht so heftig zu sein und die Landschaft wird nach all den Schweinemastbetrieben immer idyllischer. Schließlich fahren wir durch unverdorbene Natur, wie wir sie im Verlauf der vorherigen Auflage der Tour täglich sahen. Von rauschenden Wäldern umgebene Stauseen, malerische Dörfer, ein plätschernder Bach, über den wir auf einer wackeligen Planke klettern. Es sei denn, du heißt Rasta Jan oder Juri und rast mit voller Geschwindigkeit hindurch. Eine verlassene Gaudí-eske Kirche an der Strecke fügt eine psychedelische Note hinzu. Viva España, pardon... Catalunya! Jeroen und ich verlassen das Mittagsmahl früher, um eine Tasse Kaffee im nächsten Café zu genießen. Kaum haben wir uns hingesetzt, als ein gelb-schwarzes Peloton in enger Formation wie ein Wespenschwarm heransirrt. Äußerst beeindruckend! Das Hauptfeld rast vorüber mit den ominösen Geräuschen von Gummireifen und gut geschmierten Fahrradketten. Bevor wir unsere Tassen austrinken können, sind sie schon hinter dem nächsten Verkehrskreisel verschwunden. 

 

Schmerztherapie
Später erreichen wir den Fuß des Garraf Massif, unseres letzten Hindernisses. Zu Beginn scheint es kein Problem zu sein, aber je höher wir kommen, umso schwieriger wird der Anstieg. Immer wieder glaubst du, der Gipfel sei erreicht, aber nach jeder Kurve geht es weiter hoch und wird noch steiler. Selbst die Abfahrt, normalerweise die schwer erkämpfte Belohnung nach einem Anstieg, erweist sich als teuflisch. Die Straße scheint senkrecht in einen Abgrund hinabzustürzen. Auf der schlecht befestigten Straße sind die mit Kalk geschriebenen Namen von Horner, Valverde und anderen hochberühmten Profis zu lesen, die vor uns gefahren waren. Auf jeden abschüssigen Streckenabschnitt folgt eine dieser mörderischen Haarnadelkurven, wegen denen du dein Fahrrad fast zum Stehen bringen musst. Daan haut es hin - glücklicherweise kommt er mit heiler Haut davon -, während Bart von Organic Earth nur knapp einer Kollision entgehen kann. Radfahren bedeutet auch Therapie von Schmerzen. Ein Stein, den man in einer Kurve übersieht, könnte für ein Leben im Rollstuhl reichen, aber das Radfahren bringt hauptsächlich Leiden anderer Art mit sich. Die Beinmuskeln brennen vor Schmerz, die Schultern lechzen nach einer Massage und du schaffst es einfach nicht, den Hintern so zu drehen, dass die Schmerzen ein wenig nachlassen. Alles und jeden verfluchend, machst du unermüdlich weiter mit nur einem Ziel vor Augen: die Tour bis zum Ende durchzustehen. 

 

Die letzten Kilometer! Während Mentalcoach und Tausendfüßler Patrick vom Bus aus hysterisch durch ein Megaphon brüllt, fahren wir in schon fast militärischer Ordnung durch die Vororte von Barcelona. Passanten halten vor Überraschung an, feuern uns an, jubelnde Kinder rennen mit. Ältere Leute knuffen einander und lesen lächelnd die Texte auf unseren Shirts. Wir läuten fröhlich unsere Fahrradklingeln und sehen aus wie ein Gamelan-Orchester auf Rädern. Lange bevor wir die Stadtgrenze erreichen, bricht die Dunkelheit an und die letzten 10 Kilometer werden nervenaufreibend - denn wir müssen zwischen Fahrzeugen navigieren, die aus allen Seitenstraßen herauskommen. Doch dann taucht endlich das Gebäude der Spannabis-Messe in der Ferne auf. Wir sind drei Tage, 400 Kilometer, 220 Bananen, 333 Müsliriegel und 100000 Euro an Sponsoreneinnahmen weiter. Die Medical Cannabis Bike Tour 2014 ist vorüber. Mission erfüllt! 

Dank an alle Sponsoren, an unsere Betreuer und Mentalcoaches Tim and Christopher, Doc Medique, Tourkomiker und Rad-Whisperer Gerard, Alex und Roos, Patrick, Kees, Luc und Matej.

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