Bestandsaufnahme zu Cannabis als Medizin

Frank Brandse
19 Aug 2021

Ein Bündnis aus angesehenen Ärzten und Wissenschaftlern verfasste und veröffentlichte Anfang Mai diesen Jahres ein Positionspapier mit dem Titel "Cannabis als Medizin: Warum weitere Verbesserungen notwendig und möglich sind". Darin fordern sie und verschiedene Unterstützer aus Politik und Wissenschaft einschneidende Verbesserungen für die seit 2017 in Deutschland legalisierte Medizin Cannabis. Denn was 2017 gut klang, stellte sich in der Realität als längst nicht ausreichend heraus.


Vier Jahre nach der offiziellen Legalisierung von Cannabis als Medizin in Deutschland zogen vier angesehene Wissenschaftler eine erste Zwischenbilanz und präsentierten ihre Erkenntnisse in einem gemeinsamen Positionspapier. Prof. Dr. Heino Stöver, Dr. Ingo Michels, Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl und Dr. Franjo Grotenhermen fanden für ihr Positionspapier auch Unterstützer aus Politik und Ärzteschaft, so zum Beispiel Dirk Heidenblut (SPD), Dr. Ellis Huber (ehemaliger Präsident der Berliner Ärztekammer), Dr. Kirsten Kappert-Gonther (GRÜNE), Niema Movassat (LINKE) und Dr. Wieland Schinnenburg (FDP).

Über die festgestellten "Problembereiche" von Cannabis als Medizin schrieben sie: "Mehr als 4 Jahre nach Inkrafttreten des "Cannabis-als-Medizin-Gesetzes" fällt eine Bilanz gemischt aus. Neben den unstrittigen, zahlreichen positiven Entwicklungen sind verschiedene vom Gesetzgeber 2017 beabsichtigte Veränderungen nach wie vor nicht eingetreten:  Noch immer müssen Cannabismedikamente, insbesondere Cannabisblüten und daraus hergestellt Extrakte, nach Deutschland importiert werden, anfangs ausschließlich aus den Niederlanden, mittlerweile auch aus weiteren Ländern wie Kanada, Israel und Spanien. Die Kosten für Cannabisblüten sind seit Inkrafttreten des Gesetzes nicht etwa gesunken, sondern deutlich angestiegen, da Cannabisblüten nach Arzneimittelpreisverordnung wie Rezepturarzneimittel zu behandeln sind. Die Kosten liegen deutlich über den in zahlreichen anderen Ländern. So kosten die gleichen Produkte in Deutschland mehr als dreimal so viel wie etwa in den Niederlanden (20-24 Euro pro Gramm vs. 6-7 Euro pro Gramm). Dies führt zu einer erheblichen finanziellen Belastung nicht nur der Krankenkassen, sondern auch derjenigen Patient*innen, die die Kosten der Behandlung selbst tragen müssen. Einzig in Schleswig-Holstein werden Cannabisblüten wie Fertigarzneimittel behandelt, sodass der in der Arzneimittelpreisverordnung vorgeschriebene Aufschlag von 90 bzw. 100% entfällt.

Verordnende rzt*innen sehen sich nicht nur einem hohen bürokratischen Aufwand gegenüber, sondern fühlen sich im Falle von Patient*innen mit einem hohen Bedarf wegen der Kosten für Cannabis-basierter Medikamente ständig der Gefahr eines Regresses ausgesetzt. Zudem weisen Krankenkassen verordnende rzt*innen regelmäßig in Schreiben auf das in §12 Sozialgesetzbuch V festgeschriebene Wirtschaftlichkeitsgebot hin. Augenfällig ist dabei, dass dabei stets die Unwirtschaftlichkeit einer Verordnung von Cannabisblüten suggeriert wird. All dies führt dazu, dass nach wie vor die Mehrzahl der Vertragsärzt*innen vor einer Verordnung zurückschrecken. Die Kassenärztliche Vereinigung in Baden-Württemberg macht vor, dass es auch anders geht. Um die verordnenden Ärzt*innen von finanziellen Risiken zu entlasten, wurde 2019 kurzerhand entschieden, dass Cannabis-Verordnungen nicht mehr in das "Arzneimittelbudget" einfließen bzw. budgetneutral sind.

CannaMed

Auch wenn die Zahl der verordnenden Ärzt*innen in den letzten vier Jahren zugenommen hat, fühlen sich nach wie vor viele Ärzt*innen nicht ausreichend qualifiziert, um eine Cannabis-basierte Therapie durchzuführen. Der Bedarf an Fortbildungen ist ungebrochen. Diese sollten idealerweise unabhängig von der Pharmaindustrie sein. Auch haben Grundlagen zur Funktion des Endocannabinoidsystems und der Wirkungsweise Cannabis-basierter Medikamente kaum Eingang in die Lehrinhalte an deutschen medizinischen Fakultäten gefunden. Ganz davon abgesehen, dass bisher an keiner deutschen Medizinfakultät ein Lehrstuhl für "Cannabis als Medizin" eingerichtet wurde.

Der im Gesetz verankerte Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen sollte nicht indizierte off- oder no-label Verordnungen Cannabis-basierter Medikamente verhindern. Faktisch hat er aber dazu geführt, dass die gesetzlichen Krankenkassen eine Kostenübernahme nicht etwa nur "in begründeten Ausnahmefällen" ablehnen, sondern von Beginn an bis heute konstant in ca. 40% aller Fälle. Dies kann vier Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes sicherlich nicht länger mit fehlerhaft gestellten Anträgen begründet werden. Vielmehr verfestigt sich der Eindruck, dass die Krankenkassen – und nicht wie sonst üblich und für richtig befunden die behandelnden Ärzt*innen - die Indikation für eine Cannabis-basierte Therapie stellen. So werden Kostenübernahmeanträge von Patient*innen mit bestimmten – beispielsweise psychischen - Erkrankungen praktisch ausnahmslos abgelehnt. Sogar Anträge von Patient*innen, die zuvor bereits eine Ausnahmeerlaubnis durch die Bundesopiumstelle erhalten hatten, wurden in großer Zahl abgelehnt.

Wissenschaftler*innen wie auch Ärzt*innen und Politiker*innen sind sich darin einig, dass die externe Evidenz für eine Wirksamkeit Cannabis-basierter Medikamente in der Mehrzahl der diskutierten Indikationen nach wie vor gering ist. Einigkeit besteht auch darin, dass diesem Mangel ausschließlich mit Hilfe von großen kontrollierten klinischen Studien Abhilfe geschaffen werden kann. Umso erstaunlicher ist es, dass bis heute fast gar keine staatlich finanzierte Forschungsförderung erfolgte."

Deshalb fordern die unterzeichnenden Wissenschaftler und unterstützenden Politiker unter anderem die Abgabepreise für Cannabisblüten in den Apotheken zu senken, den Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen und Regress-forderungen gegenüber verordnenden Ärzten abzuschaffen, die Einstellung strafrechtlicher Verfolgung von (offiziellen) Cannabispatienten, eine Gleichstellung von Cannabispatienten mit anderen (Medizin einnehmenden) Patienten im Straßenverkehr und eine staatlich geförderte klinische  Forschung zur

Wirksamkeit von Cannabis-basierten Medikamenten. Hoffen wir, dass ihre Forderungen Gehör finden.

 

Text: M-Dog

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Frank Brandse